Martin Walser: "Ein fliehendes Pferd"

Artikel der Rheinpfalz zur Premiere am 3.5.2000



Phantast und Spiesser

Walsers "Fliehendes Pferd" an der Universität

Der Vorhang fällt, das Ende jedoch bleibt offen. Und so kreisen die Gedanken weiter: Wird Helmut es ihm sagen? Wird er Klaus sagen, dass es ihm zwar recht, aber unabsichtlich war, ihn in das Sturm aufgewühlte Wasser fallen zu sehen? Helmut sagt: "Die Wahrheit ist eine Katastrophe" und will schnellstens den Urlaubsort am Bodensee verlassen. Seine Frau Sabine jedoch will, dass er es sagt. Sie will nicht, dass Klaus denkt, Helmut hätte... "Ein fliehendes Pferd", das ist Helmut (Ingo Münch) in der Geschichte von Martin Walser. Sein Gegenspieler ist Klaus (Sven Methner), und beide verbindet eine gemeinsame Schulzeit und die Wiederbegegnung als verheiratete Paare am Ferienort. Diese kleine Episode, diese befristete Zeit im Leben dieser beiden Eheleute hatte mit der Aufführung der Theater-AG an der Uni am Mittwochabend Premiere.
 

Seit Jahren flüchtet Helmut vor "Kollegen und so 'nem Quatsch" in ein kleines Ferienhaus. Und pflegt seine Ruhe, das piekfein angezogene Vorsichhinbrüten, die Segnungen von Schwüle, Flaute, Weltuntergangsstille, sich als Herrn "Negativ" in einsamer Gegenwart mit seiner Frau "Positiv". Nur ja keine Entscheidungen fällen müssen - und da schneit "dieser Klaus" in die behagliche Isolation. Dieser Phantast, dieser Möchtegern-Groß, "hochgradig leidend am Kriegskameradensyndrom". Der ihn seiner Spießbürgerlichkeit wegen angreift bis zur Schmerzgrenze.
Ein Eldorado sprachlicher Bilder, die dieses Stück dem Zuschauer gönnt. Ein verbales Bilderbuch über den Untiefen menschlicher Verhaltensmuster. Aber auch ein problematisches Stück, das sich da die Theater-AG aussuchte. Und ein schwer zu spielendes. Die Szenerie bietet kaum Bewegung, alle sitzen meist um den Tisch herum. Um so mehr sind Gestik und Mimik gefragt. Maskiert Ingo Münch sich mit mürrisch unwirschem Gesicht, strahlt Klaus mit falschem Sonnyboy-Reflex, zünden die Worte, lebt der Text. Auch den Ehefrauen Sabine (Daniela Post) und Hel (Melanie Jungblut) stehen ihre Rollen ganz gut ins Gesicht geschrieben. Herausragend die stimmliche Sensibilität der Hel, die ihren Part am Ende des Stückes am überzeugendsten transportiert.
Alexander Grüner führte Regie in dieser, einer Walser-Novelle nachempfundenen Dramatisierung. Die künstlerische Freiheit, Textpassagen zu straffen und das offen gelassene Ende tun dem Bühnengeschehen gut. Den weiteren Vorstellungen wäre zu wünschen, dass die Darsteller mehr körperliche Plastizität einbringen, ihre Rollen noch authentischer wiedergeben. Nichtsdestotrotz: eine gelungene Premiere.

Weitere Aufführungen:
Am 9. und 11. Mai im Audimax, am 25. Mai auf der Bühne unterm Dach, immer 20 Uhr.

Von unserer Mitarbeiterin: Isabelle Girard de Soucanton

RON - RHEINPFALZ ONLINE, Freitag, 5. Mai

 

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