Arbeit am grundriss
(zugleich eine fortsetzung des aufsatzes "geometrie und organik" im
septemberheft dieser zeitschrift)
Die wirtschaftliche lage zwingt uns, beim bau unserer wohnungen von den
baukosten auszugehen, das heißt vom technischen werk. Alle arbeit am
grundriß steht unter dem diktat des technischen werks. Die ansprüche an
die gestalt sind diesem nachgeordnet. Das aber ist falsch. Wohl stehen
technik und gestalt in einem werkverhältnis zu einander, in ihm ist die
gestalt der geistigen partner, dessen schöpferische kräfte der technik
den weg weisen. Kehrt sich dieses verhältnis um, so versäumt das werk
sein ziel. Das aber ist nicht die meinung.
So mag das unternehmen, das gestellt thema auch von der seite der
gestalt her zu bearbeiten und durchzudenken notwendig und nicht nur
gerechtfertigt sein, wenn auch die wirtschaftlichen verhältnisse es noch
nicht erlauben, das so geplante auch zu verwirklichen und am
ausgeführten bau zu überprüfen. Außerdem kann das nur heißen, daß das
thema gestalt nun in richtung auf das haus als organ zu untersuchen ist,
nachdem es im gestaltreich der geometrie wohl alle seine möglichkeiten
entfaltet hat. Obwohl es sich auch im herrschaftsraum der geometrie
schon seit geraumer zeit immer stärker auf das reich der organhaften
gebilde zu bewegt, so hat es doch diesen machtraum nicht verlassen. Der
schritt, der zu tun ist, gilt der befreiung des gestaltwerks aus den
technischen und gestalterischen bindungen, die ihm die geometrie
auferlegt. Er gilt der herstellung oder wiederherstellung des rangs der
objekte als wesenheiten, die im dienste des lebens stehen, des rangs,
dem selbst noch die geometrischen harmonien unterworfen sind, in denen
sich die kosmischen werkgesetze der materie spiegeln. Es hatte orpheus
den griechen den weg zu den sphärischen harmonien gewiesen, "daß die
entzückte erde auf die himmlischen stimmen höre", doch führt unser weg
heute darüber hinaus und in das zweite gestaltreich im werk der
schöpfung. Das haus als organ ist aber ein organ des menschen, den man
soeben auch als eine wesenheit entdeckt, nachdem diese lange im
machtraum der geometrie nicht zur geltung kam. Wohl stellt sich noch
jeder etwas anderes darunter vor, wenn überhaupt, wie die darmstädter
gespräche über das thema mensch und raum gezeigt haben. Wir holen also
auch hierin die griechen ein, und so besteht die aussicht, daß wir auch
noch nach delphi gelangen, zu dem tempel der einweihungen in das wesen
des menschen. der heute noch vage, wenn auch sehr eindrucksvolle begriff
kündet indessen doch auch den geheimen wandel an, der sich vollzieht und
der auch das wesen des wohnens und bauens zu wandeln im begriff ist.
So begegnen wir denn auch gleich zu anfang unserer arbeit einer annahme,
die zu einer voraussetzung wird: der annahme, daß sich ein wandel im
wesen mensch selbst vollziehe. Wenn wir das gestaltwerk des neuen hauses
im sinn haben, so setzen wir dabei menschen voraus, die von der macht
dieses wandels berührt sind. Dies mag erst eine kleine schicht von
menschen sein, in deren bewußtsein diese macht gehör findet. Man mag
deshalb einwenden, daß dieses thema nicht aktuell sei, denn es gehe um
die wohnung der masse des volkes und nicht um die einer kleinen schicht.
Uns geht es jedoch um die arbeit an einer gestellten aufgabe, der der
wohnungsbau der masse des volkes noch ausweicht. Die gestalt der neuen
wohnung kann immer nur das werk einer schicht sein, die neue forderungen
an das wohnen erhebt. Und da die wesenheit des menschen in unserer
arbeit die entscheidende rolle spielen wird, so kann sie jeweils auch
nur die wesenheit eines individuums zum ausgang haben.
Wenn wir unsere ausführungen mit einigen grundrissen erweitern, so mag
dies zunächst zur verdeutlichung unseres themas dienen.
Man arbeitet seit geraumer zeit am grundriß als an einem organwerk. Man
fordert leistungen von ihm, die von der wohnung als einem objekt
sozialer repräsentation nicht gefordert worden sind. Wohntechnische
fragen stehen im vordergrund, und licht und luft sind zu entscheidenden
faktoren geworden. Ansprüche des lebens selbst, die in der alten wohnung
noch nicht gestaltfordernd auftraten. So ist die wohnung wohl schon als
organwerk begriffen, wenn sie diesem begriff auch noch keineswegs ganz
entspricht.
Fußnote: Ist etwa die nachtbelüftung der kleinen schlafkammer schon
ausreichend? Ist es nicht zu vermeiden, daß betten unter und vor
fenstern stehen? Müssen die betten in den wohnungen kreuz und quer
herumstehen? Sollte nicht jeder schlafraum wenigstens die möglichkeit
bieten, die betten auch in nordsüdlicher richtung aufstellen zu können?
Das macht gewiß viel arbeit beim planen. Dann wartet die bettfrage noch
auf eine lösung. Das greift aber in alte wohngewohnheiten ein, die einer
besseren lösung widerstand entgegensetzen. Dies unter anderem; es gibt
noch einige andere punkte.
Würde man den forderungen des organwerks ganz nachgehen, so müßte man
auch schon dem gestaltzwang der geometrie entgegentreten. Soweit sind
wir aber noch nicht, dem steht der nutzen einer rationalen technik
entgegen. Unsere arbeit gilt jedoch nicht in erster linie dem organwerk,
sondern dem gestaltwerk, das sich im organwerk erst vorbereitet.
Wir unterscheiden organwerk und gestaltwerk als zwei stufen im
schöpferischen werken. Um diese für unsere betrachtungen überaus
wichtigen, doch wenig gangbaren begriffe genügend deutlich zu machen,
erläutern wir sie noch durch ein beispiel: das organwerk der menschen
ist immer dasselbe, es ist das objekt des anatomen. Das gestaltwerk
hingegen ist überaus verschieden und nicht zweimal dasselbe. Im
gestaltwerk erscheint erst die wesenheit des menschen. So mag auch ein
organwerk schon vollkommen sein, das gestaltwerk aber ohne rang. Ohne
die aktionen des gestaltwerks im organwerk ist das organwerk ohne
wesenheit. Das gestaltwerk ist der träger des lebens.
Was nun hat sich hinsichtlich des wohnens gewandelt? Wir haben diese
fragen schon in unserem aufsatz "geometrie und organik" kurz berührt.
Wir versuchten darzustellen, daß das gestaltschaffen der menschheit nach
einem plan vor sich geht, der sein vorbild im werkschaffen der schöpfung
hat. Das stilschaffen der geschichte entsteht im übungsraum der
geometrie (im osten gehorcht es einem anderen plan). Unser heutiges
pensum führt uns an das gestaltreich der geschöpflichen welt heran. Das
hebt die geometrie nicht auf, aber es zielt auf ein neues
gestaltschaffen ab. Dadurch sind neue probleme aufgeworfen, die auch die
macht der geometrie noch einmal auf den plan rufen. Was die beiden
reiche voneinander trennt, ist die stellung zur wesenheit des in der
gestalt erscheinenden.
Das neue, das sich hier anbahnt, hat auch schinkel schon beunruhigt - er
war indessen nicht der erste, den dieses problem bewegte - (gilly war
jedoch noch nicht davon berührt). Die zunehmende bedeutung der wesenheit
der bauobjekte für das gestaltschaffen hatte zunächst eine verteilung
der stiltrachten auf die bauobjekte zur folge. Das vergangene
jahrhundert hoffte hier einen ausweg aus dem offenbar gewordenen
konflikt zu finden. Ein bahnhof konnte nicht gut in gotischen stilgewand
erscheinen, einer kirche aber war es wohl angemessen. In dieser aktion
bereitet sich das neue bauen vor: es setzt eine individuierung der
objekte ein; das scheidende moment ist die wesenheit der objekte, sie
vollzieht die individuierung, die die objekte in die gestaltreiche
einweist. Was aber als wesenheit begriffen wird, verleiht auch dem
objekt den charakter eines organs. So stellten sich zuerst die objekte
vor, an die ein klarer leistungsanspruch gestellt war. An ihnen setzt
die bewegung an, die zunächst im organwerk ihr ziel sieht.
Die gestellte aufgabe ist klar: es geht darum, das haus von inner her
anzulegen, von den lebendigen vorgängen des wohnens auszugehen und auch
im aufbau nach diesem prinzip vorzugehen. Das außen ist nicht mehr von
vornherein gegeben, es ergibt sich erst, wie sich das außen in allem
organwerk erst ergibt. Das außen setzt dem organwerk wohl grenzen
entgegen, doch bestimmt es nicht seine form. Man zieht wände um
wohngruppen herum, man ordnet nicht wohngruppen in rechtecke ein. Wände
werden auf diese weise kaum rechtwinklig zueinander stehen, und es wird
auch kaum ein rechtwinkliger baukörper entstehen. Auch werden die wände
nicht unter allen umständen gerade sein. Eine natürliche ordnung wird
sich einstellen, in der das bestreben wirkt, im einzelnen den platz zur
sonne zu bestimmen, so daß das haus sich strahlenförmig nach süden zu
und von ost nach west ausdehnt, dem norden aber den rücken zukehrt. Es
verhält sich wie eine pflanze, die ihre organe der sonne zuwendet. Nun
sind gewiß alle diese gesichtspunkte nicht neu, die macht der sonne ist
schon länger anerkannt, und wir sind ganz allgemein dabei, das organwerk
des baus dem leben anzupassen, doch haben wir noch kaum damit begonnen,
den nächsten schritt zu tun, der zur arbeit am gestaltwerk führt.
Das gestaltwerk hat leitenden charakter. Die räume begreifen ihren
dienenden auftrag. Sie erhalten ihre gestalt vom wohnenden und von
seinem wohnen her, sie gehören dem leben an und nehmen teil an ihm. Sie
werden wesenhaft, gehören nicht mehr als abstrakte gebilde einem anderen
gestaltreich an. Das geht dann auch die werkstoffe an, aus denen dieser
wohnleib aufgebaut wird, sie sind nicht von einer technischen
zweckmäßigkeit her allein bestimmbar, es spricht bei ihrer wahl eine
beziehung zur wesenheit des wohnenden mit. Wir streben die konkordanz
der wesenheit des baues mit dem wohnenden an, die wir am japanischen
haus bewundern - aber dies war nie der gestaltmacht der geometrie
untertan.
Der mittelbare wert unserer studien bewies sich an zwei wohnbauten, die
der verfasser im jahr 1950 in biberach an der riß ausführen konnte. Die
rücksicht auf baukosten und gangbare konstruktionen legten der planung
beschränkungen auf, trotzdem ist erreicht, was wir in unseren studien
anstrebten, das haus stellt einen kontakt zu dem wohnenden her, der sich
in den gewohnten grundrissen nicht einfindet. Die distanz zu den räumen
erscheint aufgehoben, die zugehörigkeit des baues zum leben, das sich in
ihm bewegt, wird zu einem nahen körperlichen kontakt.
Aus: Baukunst und Werkform. Monatsschrift für alle Gebiete der
Gestaltung, 5. Jg. (1952), H. 5, S. 15-22
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