neues bauen
I.
Das 19. jahrhundert suchte einen neuen baustil. In den jahrhunderten
vorher machte das nordwestliche europa eine entwicklung durch, die von
der romanik über gotik, renaissance, barock zu klassik und biedermeier
führte. Eine geheime kraft hatte einen stil nach dem andern
herausgetrieben - nun war diese kraft versiegt, eine art stilwinter
setzte ein, und man war genötigt, seinen stilbedarf selbst zu decken.
Der geforderte neue deutsche baustil mußte künstlich hergestellt werden,
und er sollte selbstverständlich alle für gut befundenen qualitäten der
seitherigen stile haben. Dieses entwicklungsverfahren wurde gestört
durch eine neue beobachtung. Einige bauobjekte zeigten eine neigung zu
klassischen stilformen, andere zu gotischen, wieder andere zum
biedermeier. Schinkel fing an, sich mit dieser neuen situation
herumzuschlagen: er baute schlösser und museen vorzugsweise klassisch,
kirchen gotisierend. Es hatte ein neuer gesichtspunkt gültigkeit
bekommen: man hatte entdeckt, daß eine innere beziehung besteht zwischen
einem bau und seiner gestalt. Das baugewand steht nicht mehr von anfang
an fest wie in zeiten gesicherten bauschaffens, es muß der bauaufgabe
besonders angepaßt werden. Das bauschaffen, einmal auf dieses moment
hingelenkt, bemächtigte sich jetzt aller stile und aller örtlichen
abwandlungen der stile, um den baustil und diejenige bautracht zu
finden, die dem bauobjekt am besten zu gesicht stehen würde. Man
begnügte sich hier mit nachschaffen. Dieses beginnen konnte nicht zum
ziel führen. Der prozeß zeigte die spuren einer in der tiefe sich
vollziehenden veränderung: das verlangen nach einer inneren indentität
von bauobjekt und baugestalt war neu. Dieses verlangen zerstörte die
geschichtlich gefestigte idee vom stil, der sich als eine formgewalt auf
alle dinge legte, die in den raum des kulturlebens gehoben werden
sollten. Es endete damit, daß man die forderung erhob, daß jeder
gegenstand seine ihm gemäße eigene gestalt erhalte. Man entdeckte jetzt
plötzlich auch eine neue art von schönheit, die schönheit
wohlgestalteter dinge, die keinerlei merkmale irgendeines stils tragen.
Solche dinge waren inzwischen sozusagen unter der hand entstanden, indem
gebrauchsansprüche ein wort bei ihrer gestaltung mitsprachen. Diese
entdeckung brachte einen neuen gestaltwillen auf den weg zur arbeit, und
diese arbeit setzte eben an gebrauchsgegenständen an. England ging
hierbei voran. An gegenständen des gebrauchs entstand gestalt aus
natürlichen, dem gegenstand eigentümlichen forderungen, und sie entstand
um so reiner, je mehr die gegenstände den formgewalten der stile
entzogen wurden. In der vergangenheit waren es die tempelbauten, an
denen die formgeschlechter herangezüchtet wurden, die ihre herrschaft
dann über alle objekte ausdehnten, um sie sich untertan zu machen.
Nunmehr ist es der gebrauchsgegenstand, von dem eine neue welt des
gestaltens ihren anfang nimmt. Diese verschiedenheit in der abstammung
ist ungemein wichtig. Die objekte treten jetzt mit eigenen
gestaltforderungen an uns heran, sie wollen als individuen behandelt
werden. Die macht der stile, die in den hochkulturen errichtet wurde,
hat ihr ende erreicht. An die stelle der stileinheit tritt die höhere
einheit, die alle wohlgestalteten dinge miteinander verbindet (und die
dem klassenhaß entgegentritt, der auch ein stilhaß ist). Diese höhere
einheit fügte längst unsere städte zusammen, sie wird nun auch das
fundament, auf dem die dinge in den wohnungen zusammenkommen, vor allem
in den arbeitsräumen der künstler. Sie fordert nur noch ihre offizielle
anerkennung. Die ersten triebe eines neuen gestaltschaffens zeigten
sich.
Zu beginn unseres jahrhunderts hatte diese bewegung auch in deutschland
boden gefaßt. Der deutsche werkbund sammelte die kräfte, die in ihr
wirkten; die weltweite wirkung dieser aktion ist bekannt. Es zeigte sich
nicht nur, daß eine welt gestalteter dinge im entstehen begriffen war,
es blieb auch die gesamte übrige produktion nicht unbeeinflußt von ihr.
Alles, was vom gebrauch diktiert war, wurde von den formgewalten der
stile befreit und einer eigenen gestaltwelt zugeführt. Geräte und
instrumente, ingenieurwerke, maschinen, verkehrsfahrzeuge usf. bekamen
mut zu sich selbst. Nur das wohnhaus leistete noch widerstand. Nach dem
ersten weltkrieg sollte auch die arbeit an diesem ansetzen, und bald
stand auch hier unsere arbeit im vordergrund. Das wohnhaus enthielt neue
probleme, es führte tiefer hinein in das thema der organhaften
gestaltung. Es ist nicht nur ein gebrauchsgegenstand, es macht auch noch
ansprüche anderer art. Wir werden darauf noch zurückkommen. Die bewegung
erhielt jetzt den namen "neues bauen".
Sie hat die bauschaffenden in zwei lager geteilt. Die architekten des
neuen bauens lösten sich als eine avantgarde von der übrigen
architektenschaft ab. Diese aber suchte weiter einen neuen baustil auf
dem seither begangenen wege des nachschaffens. Im verhalten des volkes
der spaltung gegenüber ist bemerkenswert, daß die sozialistisch
gerichteten kreise, also vor allem die arbeiterschaften, sich lebhaft
für das neue bauen interessierten, das bürgertum es aber ablehnte und
der linie des alten bauens treu blieb. Die repetitionen der stile, die
seit jahrhunderten geübt wurden, hatten im bürgertum jedes verständnis
für die geistigen prozesse, die im gestaltschaffen wirkten, abgetötet.
Der bürger sieht nicht mehr das geschehen, das ihn zur mitarbeit
auffordert, die kunst ist für ihn zum teil eine sache der
geschicklichkeit und des talents, zum andern eine sache des geschmacks.
Er ist ein liebhaber und sammler, der seine studien in den museen macht
und seine wahl nach geschmack trifft. Dieser wandlung schließen sich die
nachschaffenden architekten auf ihrer suche nach einem deutschen baustil
an. Sie wenden sich einer pfleglichen behandlung des ererbten zu, wobei
sie dieses allerdings nach gutdünken umdeuten und umbauen. Sie suchen
jeweils nach einer geeigneten bautracht, die ihnen steht, und verzichten
darauf, ein eigenes arbeitskleid oder auch staatskleid zu entwerfen. Da
der bedarf heute die massenfabrikation fordert, ist man dabei, die
bautrachten auch zu konfektionieren.
Um die jahrhundertwende kämpften sich in den werken otto wagners und
berlages die themen des neuen bauens voran, und theodor fischer
unternahm noch einen echten versuch, einen deutschen baustil zu schaffen
- den genetisch überaus wichtigen versuch, verwandte kräfte der romanik
und des barock in neuem gestaltwillen zu verbinden - von dem schließlich
ebenfalls eine linie zum neuen bauen führte. Die nachschaffenden
architekten sahen jedoch nur die historisierende seite. Als hitler
erschien, wurde auch fischer ausgeschaltet, seine nachfolger wurden
jedoch begeistert in das gefolge der geniefigur des kleinbürgers
aufgenommen. Sie waren nur noch stimmungsimitatoren, die der idee eines
neuen deutschen baustils ein leichenbegängnis im maßstab 100 zu 1
veranstalteten. Nun machen sich diese totengräber der baukultur an die
arbeit, ihr noch ein grabdenkmal zu setzen: sie machen sich an den
wiederaufbau heran. Es wurde jedoch platz geschaffen für einen neubau;
der raum soll nicht mit gipsabgüssen des alten ausgestattet werden.
Neubau, nicht restauration.
Meine herren kultusminister! wo sind ihre augen? auch im museum? Sagt
ihnen das verständnisvolle einvernehmen des alten bauens mit dem
hitlertum nichts?
1933 wurden die architekten des neuen bauens als kulturbolschewiken und
volksverderber verfolgt und selbstverständlich auch als juden
bezeichnet. (Auch dem verfasser geschah solches.) Neues bauen gehörte
zur gruppe "entartete kunst". So waren die meisten architekten der
bewegung zur auswanderung gezwungen; nur wenige blieben im land, wo sie
zur untätigkeit in ihrem beruf verurteilt waren. Seit wir wieder ein
wenig in die welt hinaussehen können, wissen wir, daß inzwischen,
während wir in unserem gefängnis saßen, das neue bauen seinen siegeszug
in der welt angetreten hat. In der schweiz, in england, in den
nordischen ländern, in amerika, überall wird gebaut im sinne des neuen
bauens - die deutschen architekten dieser bewegung, die hitler zur
auswanderung gezwungen hat, gelangten in den vereinigten staaten zu
großem einfluß. An der spitze des wiederaufbaus in frankreich steht ein
ausschuß, dem die architekten perret, le corbusier und lurçat angehören.
Wer steht an der spitze des neubaus von deutschland?
II.
Das geschichtliche bild des baugeschehens belehrt uns darüber, daß dem
schöpferischen gestalten eine neue weisung gegeben worden ist. Dem
werkgesetz der geometrie, auf dem alle architektur begründet ist, wird
ein neues werkgesetz übergeordnet, das aus dem reich der organhaften
natur stammt. Ein höheres ordnungsprinzip setzt sich durch, gefordert
von dem geist des lebens, der seine eigene gestalt sucht, um zu wirken.
Die stile des mittelmeers wurden einer nach dem andern aus den vielerlei
aspekten geboren, die die geometrischen figuren anboten. Nun gibt das
reich der organischen figuren neue prinzipien der ordnung zu bau und
konstruktion für unsere heutige arbeit. Das beständige drängen in der
entwicklung, das den prozeß des kulturellen geschehens vorantreibt, ist
die folge der bewegung, in der das gestaltschaffen die strukturwelten
der geometrischen figuren vom kubus bis zur ellipse durchschreitet, mit
der es bereits an die grenze der organik stößt. Es hat auch diese grenze
noch überschritten, um in dem neuen raum ein neues schaffen nach den
forderungen der schaffenden lebendigen natur zu erlernen und in deren
geistige aspekte vorzudringen. Das statische geschichtsbild einer
seienden welt erweist sich als nicht mehr vollwertig und brauchbar, ein
geschichtsbild des werdens nach dem vorbild der lebendigen organischen
natur tritt an seine stelle.
Der weg dieses prozesses führte aus den alten hochkulturen kleinasiens
und ägyptens über griechenland, italien in das nordwestliche europa.
Hier gelangt er in einen raum, in dem die werkgesetze der organik von
jeher das gestaltschaffen bestimmen. Doch hatte dieser raum noch keine
kenntnis der geometrie und der techniken, die sie vermittelte. Ohne sie
vermochte das gestaltschaffen des nordwestlichen europa keine höhere
stufe zu erreichen. So setzt hier die eigentliche arbeit erst ein, als
dieser raum in den besitz der kenntnisse der geometrie kam. Er hatte
erst dieses pensum noch hinter sich zu bringen. Doch behauptete sich von
anfang an ein eigener gestaltwille in ihm. Was die romanik zu sagen
hatte, waren dinge des nordens, die in der sprache des mittelmeers
ausgesprochen wurden, doch schon in der gotik schuf sich das neue seine
eigene welt der organik. Aber die auseinandersetzungen mit der
gestaltwelt des mittelmeers waren noch nicht zu ende. Mit renaissance
und barock setzt eine neue aktion des südens ein, der gegenüber die
organik sich zwar nicht ganz zurückzieht, aber doch den eigenen
gestaltwillen zurückstellt. Das hin und her von geometrie und organik
vollzieht sich in immer kürzeren zeiträumen, bis es zum nebeneinander
wird. Klassik und gotik, architektur und bauen, geometrie und organik
sind die pole, zwischen denen das gestaltschaffen hin und her wandert:
zwei prinzipien der gestaltung, die auch prinzipien der formkräfte der
natur sind. In ihr sind die ergebnisse kristalle und lebendige
organismen. Die ordnungsprinzipien der kristalle stellt die geometrie,
die ordnungsprinzipiern, nach denen die organismen gebaut sind, werden
von den lebensaufgaben der organe angefordert. Diese beiden
ordnungsprinzipien scheiden zwei reiche der natur voneinander - sie
scheiden auch die werke der menschen in zwei reiche: in klassik und
organik.
Es geht also darum, über die geometrie zur organik zu kommen. Das ist
das pensum des abendlands. (Denn wir haben ein genaues pensum vor uns ,
das mächtiger ist als wir, und das wir uns nicht aussuchen können.) Das
heißt, der stilwinter ist der übergang zu einem neuen Jahr; wir haben an
dem gestaltprozeß weiterzuarbeiten, in den wir hineingeboren sind. Nur
die arbeit an diesem prozeß hat jeweils zu den ergebnissen geführt, die
in ihrer gesamtheit eine kultur ausmachen. Und über das pensum, das uns
aufgetragen ist, kann kein zweifel bestehen. Werden die verantwortlichen
für den neubau daraus ihre schlüsse ziehen?
Das eigentliche problem des neubaus mitteleuropas ist das problem
bauherrschaft.
III.
Und dies sei den architekten des neuen bauens gesagt: Die
individuierenden kräfte drängen aus dem reich der formgewalten der
geometrie heraus. Im reich der organik gibt es nur individuen,
gekennzeichnet dadurch, daß eine wesenheit in ihnen gestaltbildend
wirkt. Eine höhere stufe in den werken der gestaltung fordert auch ein
höheres ordnungsprinzip.
Was masse ist, lebt im reich der geometrischen ordnungen. Das verhältnis
masse-individuum ist das thema, das die menschheit vor sich her schiebt.
Wir architekten, die im bauen im dienste von ordnungsprinzipien
arbeiten, arbeiten auch an dem verhältnis masse-individuum. Das gibt
unserer arbeit einen sozialen charakter. Der genetische prozeß, der sich
im entwicklungsgeschehen der natur zu erkennen gibt, zeigt an, daß es um
die individuierung der masse geht. Im raum des bauens, im gebiet unserer
beruflichen arbeit heißt dies: der bau sei ein organ des lebens, er sei
geschaffen nach der ordnung der organhaften natur und nicht nach dem
gesetz der geometrie. Die wesenheit des baus, beschlossen in seiner
bestimmung zu besonderer leistung, tritt gestaltfordernd an uns heran.
Er ist im begriff, das reich der geometrischen strukturen zu verlassen.
Die organik drängt aus dem reich der zwangsformen heraus. In allem, was
an diesem vorgang teilnimmt, sehen wir den neuen gestaltwillen am werk.
Der angriff setzt am kubus selbst an. In seinem innern regen sich
dynamische gewalten, die ihn aufreißen und in einzelne blöcke, schichten
und kleinere quader zerlegen, um die so gewonnenen bausteine zu einem
neuen bau nach einer anderen ordnung zu verwenden, einer ordnung, die
den ganzen bau mit bewegung erfüllt und über ihn hinausgreift, um nach
außen zu stoßen und das außen in die welt des baues einzubeziehen. Die
werdende gestalt zersprengt die hülle, in der sie herangereift ist.
Der vorgang läuft in den einzelnen gebieten verschieden ab. Die
traditionswelt, in der er sich vollzieht, übt ihren einfluß aus. Die
tatsache, daß die arbeit am kubus beginnt, d. h. daß sie den gang, den
die hochkulturen durchliefen, noch einmal durchläuft, beweist, daß es
sich um eine echte geburt handelt, daß ein neues strukturprinzip ins
leben tritt.
Der erste anlauf führte verschieden weit. Le corbusier, im
traditionsraum des mittelmeers arbeitend, verschafft selbst dem alten
werkgesetz der geometrie neue gültigkeit, doch treibt auch ihn im
geheimen die organik, an die grenzen der geometrischen gestaltwelt
vorzudringen. Im traditionsraum der nordischen völkerschaften geschieht
der nächste schritt: der kubus wird seiner masse entledigt. Seine innere
struktur, das koordinatensystem, das urgerüst der raumergreifung, wirkt
diese veränderung; es beseitigt das gewicht seiner körperlichkeit. Die
verwandlung der ruhenden statischen welt des kubus in eine
dreidimensionale, aus einem punkte wirkende aktion vollzieht sich, ohne
daß auch schon der architektonische effekt zerstört würde, denn noch
gehorcht die ordnung des ganzen der geometrie. Auch bleibt die
horizontale die herrschende macht. Diesen standpunkt erarbeiteten frank
Iloyd wright und mies van der rohe. Wright fügt den drei koordinaten
noch die diagonale hinzu, und die organik drängt ihn auch dazu, zuweilen
dem sechseck statt des quadrats die regelung der grundrißbildung zu
übertragen. Je weiter seine arbeit fortschreitet, um so stärker kommen
in ihr die forderungen der organik zur geltung: die entwicklung der
technischen konstruktionen, die in ähnlicher richtung verläuft, erregt
seine dauernde aufmerksamkeit. Scharoun bewegt sich bereits ganz im
vieldimensionalen raum der organik, vieldimensional wie ein baum. Auch
sei bei dieser gelegenheit der halb vergessene finsterlin rühmlich
erwähnt, der in seinen phantasien sich der idee organhaften gestaltens
ganz hingab. Vor allem sei hier aber noch der gewaltigen arbeit gedacht,
die zu beginn unseres jahrhunderts van de velde im dienste der organik
leistete. Die eigenen arbeiten des verfassers streben dem ziele zu, den
organhaft gestalteten bau zu fördern und seine problematik zu
entwickeln.
So treibt aIles aus der geometrie heraus und der organik zu, aber wenig
ist noch, was organhaft gestaltet ist. Einige gebrauchsgeräte und
instrumente, da und dort ein technischer bau, ein fahrzeug, ein flugzeug
und sonstige dinge, an denen allein der anspruch an eine leistung die
gestalt forderte.
Der prozeß schreitet über die dynamik zur organik.
Wir haben auch der technik neue aufgaben zu stellen. Denn die technik
hält uns am stärksten im banne der geometrischen formgewalten. Die
geometrischen formen sind die formen der massenfabrikation. Der
ziegelstein ist das urbild aller massenform, das rechteck ist die
fügsamste form in aller aufbauarbeit an der materie, es ist ihre
eigenform. Der kubus ist das alte zeichen der erde. Da aber alle
organhafte und individuierende gestaltforderung der herrschaft der
geometrie entgegentritt, entsteht ein kampf mit dieser formenwelt, aus
dem uns nicht die verneinung der geometrischen formenwelten herausführt,
sondern ihre einordnung unter das höhere prinzip der gestalt als
bausteine des körpers der gestalt und nun als solche auch organisch
begriffen.
Beachten wir aber noch mit genauer aufmerksamkeit, daß auch im reich der
technik und der konstrutionen der gestaltwille der organik eine immer
größer werdende rolle spielt. Der begriff der leistungsform hat in der
technik unumschränkte gültigkeit und den begriff der stilform heute
vollkommen verdrängt. Das vollkommenste beispiel, das den siegreichen
vorstoß der organhaften konstruktion beweist, ist das flugzeug. Aber
auch auf dem besonderen und eigenen gebiet unseres bauens drängen die
konstruktionen immer stärker in das reich des organischen vor. Der
stahlbeton war eine erste große etappe, die eisenkonstruktionen gingen
denselben weg. Das element des elastischen und der bewegung überwindet
die idee der statik. Die konstruktionswege der organhaften natur fordern
zu neuen konstruktionen im bauen auf. Der prozeß führt auch zu einer
tieferen prüfung der qualitäten der baustoffe und zur entwicklung neuer
baustoffe auf grund genauer leistungsansprüche. Das gießverfahren
eröffnet neue möglichkeiten. Auch in konstruktion und technik ist ein
neuer gestaltwilie wirksam. Unterscheiden wir aber auch hier, daß
verschiedener gestaltwille sich der technik verschieden bedient. Während
die an das werkgesetz der geometrie gebundenen die technik benützen, um
die formenwelten der geometrie zu realisieren, gehen andere den weg der
organik, indem sie aus der organidee der konstruktion die gestalt des
baus entwickeln. Sie verfahren gotisch. So kommen bauten zustande, wie
etwa die flugzeughalle in orly von freyssinet. Dies ist überaus wichtig,
denn solches geschieht auf unserem weg.
Eine linie des neuen bauens läuft in die rationale welt der technisch
erzeugten dinge. Sie müht sich um die augenhafte klarheit einer
technischen ordnungswelt und hat viel aufmerksamkeit für die reizwerte
neuer baustoffe und neuer herstellungsverfahren, doch bleibt sie auf dem
gestaltboden der geometrie. Sie leistet der organik indirekte dienste.
Außerdem aber gibt es auch noch eine echte werkbundlinie, die zwar sehr
dünn ist, aber überaus wertvoll. Sie leistet wichtige arbeit nach dem
gesetz der organik.
Schließlich noch ein wort über unser verhältnis zur landschaft. Da
alles, was in der landschaft ist und lebt, und auch die landschaft
selbst ein geschaffenes ist, in dem das leben die gestalt wirkt und
nicht die geometrie, so kann die besorgte frage der liebhaber der
landschaft, ob nicht die werke des neuen bauens die landschaft störten,
damit beantwortet werden, daß, wenn die werke des neuen bauens gebaut
sind nach dem gesetz, nach dem die landschaft selbst gebaut ist, kein
widerspruch entstehen kann. Sie werden ihr sogar enger verbunden sein
als irgendein bau vergangener architekturepochen geometrischer
abstammung. Dies heißt also, die "architektur" und ihre kubische
gestaltwelt überwinden und zu bauen im geist der organik. Und der
verlangt, daß man sich der gestaltidee einer landschaft einordne, daß
man ihre gestaltqualitäten beachte und sich im übrigen auch taktvoll in
ihr betrage. Auch die landschaft hat ihr wesen. (Damit geben wir nicht
etwa den trachtenmännchen recht, denn trachten sind zwangsformen und
keine organformen, nur manchmal sind solche hinter ihnen versteckt.)
Unsere aufgabe ist sehr groß, das pensum ungeheuer.
IV.
Unser politischer raum.
Baukunst und städtebau zeigen das wahre gesicht der politischen
gesellschaft.
In den werkräumen der geometrie ist die masse: "masse schlechthin",
spengler sagte: "punktische masse". Sie ist dies auch politisch. In den
räumen der organik wird die masse als körper gesehen und als ein
lebendiges begriffen, als ein zum wirken geistiger kräfte geschaffenes
organ. Sie ist politisch "volk". Die masse ist feind den
individuierenden geistigen kräften. Der mittelmeerraum schuf die
herrschaftsfigur der masse, den autonomen menschen. Bis zu den staufern
hatte die idee einer von GOTT gesetzten geistigen ordnung in den
werkräumen des nordens die macht einer wirklichkeit, das volk galt in
ihr als eine gemeinschaft geistigen rangs. Im zeichen der organstruktur
kämpft es heute um seine politische form.
Die geistige qualität einer politischen struktur ist bestimmt durch die
idee, die der masse gegeben wird, deren wirklicher maßstab darin liegt,
wie weit die masse in ihren individuellen zügen angesprochen wird, wie
weit sie volk ist. Das verhältnis masse-individuum ist das kriterium
jeder politischen ordnungsform. Hierbei gewinnt bedeutung, daß die
geometrie ein zeichen der masse ist, organik ein zeichen der
individuierenden kräfte. Als hitler das neue bauen verbot und eine
geometrische architektur mit säulen forderte, war klar, daß er nicht das
volk meinte, wenn er von seinem volk sprach, sondern die masse. Der
masse kann man nur mit säulen imponieren, und er selbst war repräsentant
der masse - das volk sammelt sich in gotischen räumen.
Die masse verbindet ein gewaltiger familiensinn mit dem kapital. Beide
kommen aus demselben schoß. Es mag den anschein haben, als sei die masse
kapitelfeindlich: in wirklichkeit ist sie nur kapitalistenfeindlich,
weil die kapitalisten sie des kapitals berauben, das die masse für sich
allein und ausschließlich für ihren eigenen lebensraum beansprucht. Auch
das kapital ist ein feind der geistigen, individuierenden kräfte. Es
kämpft gegen sie seite an seite mit der masse. Aus instinkt. Denn die
geistigen kräfte betreiben aufhebung der masse und aufhebung des
machtanspruchs des kapitals. Sie wollen das volk. Das gelegentliche
mäzenatische auftreten der kapitalisten -und aller mächte der masse und
des kapitals - ist eine besondere art des kampfes gegen die
individuierenden geistigen kräfte, indem sie versuchen, diese in den
machtraum der masse und des kapitals hereinzuholen. Der geistige
arbeiter ist weder kapitalfeindlich noch feind der masse: er sieht seine
aufgabe darin, masse und kapital in den dienst des geistes zu stellen.
Große organisationen unserer zeit sind organisationen der masse; sie
sind kapitalsinnig und feind der individuierung. Masse und kapital haben
imperialistische ziele. Was der marxismus ein soziales ziel nennt, ist
in wirklichkeit ein imperialistisches ziel. Denn nichts ist wahrhaft
sozial, was die geistigen kräfte unterdrückt und die persönlichkeit
verneint. Die masse ist nicht gegen den imperialismus, sondern auch nur
gegen den imperialisten, der ihr die macht streitig macht. Solange der
cäsar der masse die vorstellung nicht raubt, daß er ein volkstribun ist,
freut sich die masse über die macht, die er in ihrem namen und in ihrem
auftrag ausübt. Verliert sie diese vorstellung, so bringt sie ihn um.
Hinter der flagge des sozialismus treten imperialistische ansprüche der
masse hervor.
Das individuum allein kann eine soziale wirklichkeit herbeiführen. Denn
dies eben macht das individuum aus, daß es als träger geistiger kräfte
an der individuierung der masse zu arbeiten verpflichtet ist, d. h. sie
aus dem zustand der masse in den zustand des individuums zu überführen,
aus der masse ein volk von geistigen individuen zu machen.
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