HÄRING - TEXTE


neues bauen

I.
Das 19. jahrhundert suchte einen neuen baustil. In den jahrhunderten vorher machte das nordwestliche europa eine entwicklung durch, die von der romanik über gotik, renaissance, barock zu klassik und biedermeier führte. Eine geheime kraft hatte einen stil nach dem andern herausgetrieben - nun war diese kraft versiegt, eine art stilwinter setzte ein, und man war genötigt, seinen stilbedarf selbst zu decken. Der geforderte neue deutsche baustil mußte künstlich hergestellt werden, und er sollte selbstverständlich alle für gut befundenen qualitäten der seitherigen stile haben. Dieses entwicklungsverfahren wurde gestört durch eine neue beobachtung. Einige bauobjekte zeigten eine neigung zu klassischen stilformen, andere zu gotischen, wieder andere zum biedermeier. Schinkel fing an, sich mit dieser neuen situation herumzuschlagen: er baute schlösser und museen vorzugsweise klassisch, kirchen gotisierend. Es hatte ein neuer gesichtspunkt gültigkeit bekommen: man hatte entdeckt, daß eine innere beziehung besteht zwischen einem bau und seiner gestalt. Das baugewand steht nicht mehr von anfang an fest wie in zeiten gesicherten bauschaffens, es muß der bauaufgabe besonders angepaßt werden. Das bauschaffen, einmal auf dieses moment hingelenkt, bemächtigte sich jetzt aller stile und aller örtlichen abwandlungen der stile, um den baustil und diejenige bautracht zu finden, die dem bauobjekt am besten zu gesicht stehen würde. Man begnügte sich hier mit nachschaffen. Dieses beginnen konnte nicht zum ziel führen. Der prozeß zeigte die spuren einer in der tiefe sich vollziehenden veränderung: das verlangen nach einer inneren indentität von bauobjekt und baugestalt war neu. Dieses verlangen zerstörte die geschichtlich gefestigte idee vom stil, der sich als eine formgewalt auf alle dinge legte, die in den raum des kulturlebens gehoben werden sollten. Es endete damit, daß man die forderung erhob, daß jeder gegenstand seine ihm gemäße eigene gestalt erhalte. Man entdeckte jetzt plötzlich auch eine neue art von schönheit, die schönheit wohlgestalteter dinge, die keinerlei merkmale irgendeines stils tragen. Solche dinge waren inzwischen sozusagen unter der hand entstanden, indem gebrauchsansprüche ein wort bei ihrer gestaltung mitsprachen. Diese entdeckung brachte einen neuen gestaltwillen auf den weg zur arbeit, und diese arbeit setzte eben an gebrauchsgegenständen an. England ging hierbei voran. An gegenständen des gebrauchs entstand gestalt aus natürlichen, dem gegenstand eigentümlichen forderungen, und sie entstand um so reiner, je mehr die gegenstände den formgewalten der stile entzogen wurden. In der vergangenheit waren es die tempelbauten, an denen die formgeschlechter herangezüchtet wurden, die ihre herrschaft dann über alle objekte ausdehnten, um sie sich untertan zu machen. Nunmehr ist es der gebrauchsgegenstand, von dem eine neue welt des gestaltens ihren anfang nimmt. Diese verschiedenheit in der abstammung ist ungemein wichtig. Die objekte treten jetzt mit eigenen gestaltforderungen an uns heran, sie wollen als individuen behandelt werden. Die macht der stile, die in den hochkulturen errichtet wurde, hat ihr ende erreicht. An die stelle der stileinheit tritt die höhere einheit, die alle wohlgestalteten dinge miteinander verbindet (und die dem klassenhaß entgegentritt, der auch ein stilhaß ist). Diese höhere einheit fügte längst unsere städte zusammen, sie wird nun auch das fundament, auf dem die dinge in den wohnungen zusammenkommen, vor allem in den arbeitsräumen der künstler. Sie fordert nur noch ihre offizielle anerkennung. Die ersten triebe eines neuen gestaltschaffens zeigten sich.
Zu beginn unseres jahrhunderts hatte diese bewegung auch in deutschland boden gefaßt. Der deutsche werkbund sammelte die kräfte, die in ihr wirkten; die weltweite wirkung dieser aktion ist bekannt. Es zeigte sich nicht nur, daß eine welt gestalteter dinge im entstehen begriffen war, es blieb auch die gesamte übrige produktion nicht unbeeinflußt von ihr. Alles, was vom gebrauch diktiert war, wurde von den formgewalten der stile befreit und einer eigenen gestaltwelt zugeführt. Geräte und instrumente, ingenieurwerke, maschinen, verkehrsfahrzeuge usf. bekamen mut zu sich selbst. Nur das wohnhaus leistete noch widerstand. Nach dem ersten weltkrieg sollte auch die arbeit an diesem ansetzen, und bald stand auch hier unsere arbeit im vordergrund. Das wohnhaus enthielt neue probleme, es führte tiefer hinein in das thema der organhaften gestaltung. Es ist nicht nur ein gebrauchsgegenstand, es macht auch noch ansprüche anderer art. Wir werden darauf noch zurückkommen. Die bewegung erhielt jetzt den namen "neues bauen".
Sie hat die bauschaffenden in zwei lager geteilt. Die architekten des neuen bauens lösten sich als eine avantgarde von der übrigen architektenschaft ab. Diese aber suchte weiter einen neuen baustil auf dem seither begangenen wege des nachschaffens. Im verhalten des volkes der spaltung gegenüber ist bemerkenswert, daß die sozialistisch gerichteten kreise, also vor allem die arbeiterschaften, sich lebhaft für das neue bauen interessierten, das bürgertum es aber ablehnte und der linie des alten bauens treu blieb. Die repetitionen der stile, die seit jahrhunderten geübt wurden, hatten im bürgertum jedes verständnis für die geistigen prozesse, die im gestaltschaffen wirkten, abgetötet. Der bürger sieht nicht mehr das geschehen, das ihn zur mitarbeit auffordert, die kunst ist für ihn zum teil eine sache der geschicklichkeit und des talents, zum andern eine sache des geschmacks. Er ist ein liebhaber und sammler, der seine studien in den museen macht und seine wahl nach geschmack trifft. Dieser wandlung schließen sich die nachschaffenden architekten auf ihrer suche nach einem deutschen baustil an. Sie wenden sich einer pfleglichen behandlung des ererbten zu, wobei sie dieses allerdings nach gutdünken umdeuten und umbauen. Sie suchen jeweils nach einer geeigneten bautracht, die ihnen steht, und verzichten darauf, ein eigenes arbeitskleid oder auch staatskleid zu entwerfen. Da der bedarf heute die massenfabrikation fordert, ist man dabei, die bautrachten auch zu konfektionieren.
Um die jahrhundertwende kämpften sich in den werken otto wagners und berlages die themen des neuen bauens voran, und theodor fischer unternahm noch einen echten versuch, einen deutschen baustil zu schaffen - den genetisch überaus wichtigen versuch, verwandte kräfte der romanik und des barock in neuem gestaltwillen zu verbinden - von dem schließlich ebenfalls eine linie zum neuen bauen führte. Die nachschaffenden architekten sahen jedoch nur die historisierende seite. Als hitler erschien, wurde auch fischer ausgeschaltet, seine nachfolger wurden jedoch begeistert in das gefolge der geniefigur des kleinbürgers aufgenommen. Sie waren nur noch stimmungsimitatoren, die der idee eines neuen deutschen baustils ein leichenbegängnis im maßstab 100 zu 1 veranstalteten. Nun machen sich diese totengräber der baukultur an die arbeit, ihr noch ein grabdenkmal zu setzen: sie machen sich an den wiederaufbau heran. Es wurde jedoch platz geschaffen für einen neubau; der raum soll nicht mit gipsabgüssen des alten ausgestattet werden. Neubau, nicht restauration.
Meine herren kultusminister! wo sind ihre augen? auch im museum? Sagt ihnen das verständnisvolle einvernehmen des alten bauens mit dem hitlertum nichts?
1933 wurden die architekten des neuen bauens als kulturbolschewiken und volksverderber verfolgt und selbstverständlich auch als juden bezeichnet. (Auch dem verfasser geschah solches.) Neues bauen gehörte zur gruppe "entartete kunst". So waren die meisten architekten der bewegung zur auswanderung gezwungen; nur wenige blieben im land, wo sie zur untätigkeit in ihrem beruf verurteilt waren. Seit wir wieder ein wenig in die welt hinaussehen können, wissen wir, daß inzwischen, während wir in unserem gefängnis saßen, das neue bauen seinen siegeszug in der welt angetreten hat. In der schweiz, in england, in den nordischen ländern, in amerika, überall wird gebaut im sinne des neuen bauens - die deutschen architekten dieser bewegung, die hitler zur auswanderung gezwungen hat, gelangten in den vereinigten staaten zu großem einfluß. An der spitze des wiederaufbaus in frankreich steht ein ausschuß, dem die architekten perret, le corbusier und lurçat angehören. Wer steht an der spitze des neubaus von deutschland?

II.
Das geschichtliche bild des baugeschehens belehrt uns darüber, daß dem schöpferischen gestalten eine neue weisung gegeben worden ist. Dem werkgesetz der geometrie, auf dem alle architektur begründet ist, wird ein neues werkgesetz übergeordnet, das aus dem reich der organhaften natur stammt. Ein höheres ordnungsprinzip setzt sich durch, gefordert von dem geist des lebens, der seine eigene gestalt sucht, um zu wirken. Die stile des mittelmeers wurden einer nach dem andern aus den vielerlei aspekten geboren, die die geometrischen figuren anboten. Nun gibt das reich der organischen figuren neue prinzipien der ordnung zu bau und konstruktion für unsere heutige arbeit. Das beständige drängen in der entwicklung, das den prozeß des kulturellen geschehens vorantreibt, ist die folge der bewegung, in der das gestaltschaffen die strukturwelten der geometrischen figuren vom kubus bis zur ellipse durchschreitet, mit der es bereits an die grenze der organik stößt. Es hat auch diese grenze noch überschritten, um in dem neuen raum ein neues schaffen nach den forderungen der schaffenden lebendigen natur zu erlernen und in deren geistige aspekte vorzudringen. Das statische geschichtsbild einer seienden welt erweist sich als nicht mehr vollwertig und brauchbar, ein geschichtsbild des werdens nach dem vorbild der lebendigen organischen natur tritt an seine stelle.
Der weg dieses prozesses führte aus den alten hochkulturen kleinasiens und ägyptens über griechenland, italien in das nordwestliche europa. Hier gelangt er in einen raum, in dem die werkgesetze der organik von jeher das gestaltschaffen bestimmen. Doch hatte dieser raum noch keine kenntnis der geometrie und der techniken, die sie vermittelte. Ohne sie vermochte das gestaltschaffen des nordwestlichen europa keine höhere stufe zu erreichen. So setzt hier die eigentliche arbeit erst ein, als dieser raum in den besitz der kenntnisse der geometrie kam. Er hatte erst dieses pensum noch hinter sich zu bringen. Doch behauptete sich von anfang an ein eigener gestaltwille in ihm. Was die romanik zu sagen hatte, waren dinge des nordens, die in der sprache des mittelmeers ausgesprochen wurden, doch schon in der gotik schuf sich das neue seine eigene welt der organik. Aber die auseinandersetzungen mit der gestaltwelt des mittelmeers waren noch nicht zu ende. Mit renaissance und barock setzt eine neue aktion des südens ein, der gegenüber die organik sich zwar nicht ganz zurückzieht, aber doch den eigenen gestaltwillen zurückstellt. Das hin und her von geometrie und organik vollzieht sich in immer kürzeren zeiträumen, bis es zum nebeneinander wird. Klassik und gotik, architektur und bauen, geometrie und organik sind die pole, zwischen denen das gestaltschaffen hin und her wandert: zwei prinzipien der gestaltung, die auch prinzipien der formkräfte der natur sind. In ihr sind die ergebnisse kristalle und lebendige organismen. Die ordnungsprinzipien der kristalle stellt die geometrie, die ordnungsprinzipiern, nach denen die organismen gebaut sind, werden von den lebensaufgaben der organe angefordert. Diese beiden ordnungsprinzipien scheiden zwei reiche der natur voneinander - sie scheiden auch die werke der menschen in zwei reiche: in klassik und organik.
Es geht also darum, über die geometrie zur organik zu kommen. Das ist das pensum des abendlands. (Denn wir haben ein genaues pensum vor uns , das mächtiger ist als wir, und das wir uns nicht aussuchen können.) Das heißt, der stilwinter ist der übergang zu einem neuen Jahr; wir haben an dem gestaltprozeß weiterzuarbeiten, in den wir hineingeboren sind. Nur die arbeit an diesem prozeß hat jeweils zu den ergebnissen geführt, die in ihrer gesamtheit eine kultur ausmachen. Und über das pensum, das uns aufgetragen ist, kann kein zweifel bestehen. Werden die verantwortlichen für den neubau daraus ihre schlüsse ziehen?
Das eigentliche problem des neubaus mitteleuropas ist das problem bauherrschaft.

III.
Und dies sei den architekten des neuen bauens gesagt: Die individuierenden kräfte drängen aus dem reich der formgewalten der geometrie heraus. Im reich der organik gibt es nur individuen, gekennzeichnet dadurch, daß eine wesenheit in ihnen gestaltbildend wirkt. Eine höhere stufe in den werken der gestaltung fordert auch ein höheres ordnungsprinzip.
Was masse ist, lebt im reich der geometrischen ordnungen. Das verhältnis masse-individuum ist das thema, das die menschheit vor sich her schiebt. Wir architekten, die im bauen im dienste von ordnungsprinzipien arbeiten, arbeiten auch an dem verhältnis masse-individuum. Das gibt unserer arbeit einen sozialen charakter. Der genetische prozeß, der sich im entwicklungsgeschehen der natur zu erkennen gibt, zeigt an, daß es um die individuierung der masse geht. Im raum des bauens, im gebiet unserer beruflichen arbeit heißt dies: der bau sei ein organ des lebens, er sei geschaffen nach der ordnung der organhaften natur und nicht nach dem gesetz der geometrie. Die wesenheit des baus, beschlossen in seiner bestimmung zu besonderer leistung, tritt gestaltfordernd an uns heran. Er ist im begriff, das reich der geometrischen strukturen zu verlassen.
Die organik drängt aus dem reich der zwangsformen heraus. In allem, was an diesem vorgang teilnimmt, sehen wir den neuen gestaltwillen am werk.
Der angriff setzt am kubus selbst an. In seinem innern regen sich dynamische gewalten, die ihn aufreißen und in einzelne blöcke, schichten und kleinere quader zerlegen, um die so gewonnenen bausteine zu einem neuen bau nach einer anderen ordnung zu verwenden, einer ordnung, die den ganzen bau mit bewegung erfüllt und über ihn hinausgreift, um nach außen zu stoßen und das außen in die welt des baues einzubeziehen. Die werdende gestalt zersprengt die hülle, in der sie herangereift ist.
Der vorgang läuft in den einzelnen gebieten verschieden ab. Die traditionswelt, in der er sich vollzieht, übt ihren einfluß aus. Die tatsache, daß die arbeit am kubus beginnt, d. h. daß sie den gang, den die hochkulturen durchliefen, noch einmal durchläuft, beweist, daß es sich um eine echte geburt handelt, daß ein neues strukturprinzip ins leben tritt.
Der erste anlauf führte verschieden weit. Le corbusier, im traditionsraum des mittelmeers arbeitend, verschafft selbst dem alten werkgesetz der geometrie neue gültigkeit, doch treibt auch ihn im geheimen die organik, an die grenzen der geometrischen gestaltwelt vorzudringen. Im traditionsraum der nordischen völkerschaften geschieht der nächste schritt: der kubus wird seiner masse entledigt. Seine innere struktur, das koordinatensystem, das urgerüst der raumergreifung, wirkt diese veränderung; es beseitigt das gewicht seiner körperlichkeit. Die verwandlung der ruhenden statischen welt des kubus in eine dreidimensionale, aus einem punkte wirkende aktion vollzieht sich, ohne daß auch schon der architektonische effekt zerstört würde, denn noch gehorcht die ordnung des ganzen der geometrie. Auch bleibt die horizontale die herrschende macht. Diesen standpunkt erarbeiteten frank Iloyd wright und mies van der rohe. Wright fügt den drei koordinaten noch die diagonale hinzu, und die organik drängt ihn auch dazu, zuweilen dem sechseck statt des quadrats die regelung der grundrißbildung zu übertragen. Je weiter seine arbeit fortschreitet, um so stärker kommen in ihr die forderungen der organik zur geltung: die entwicklung der technischen konstruktionen, die in ähnlicher richtung verläuft, erregt seine dauernde aufmerksamkeit. Scharoun bewegt sich bereits ganz im vieldimensionalen raum der organik, vieldimensional wie ein baum. Auch sei bei dieser gelegenheit der halb vergessene finsterlin rühmlich erwähnt, der in seinen phantasien sich der idee organhaften gestaltens ganz hingab. Vor allem sei hier aber noch der gewaltigen arbeit gedacht, die zu beginn unseres jahrhunderts van de velde im dienste der organik leistete. Die eigenen arbeiten des verfassers streben dem ziele zu, den organhaft gestalteten bau zu fördern und seine problematik zu entwickeln.
So treibt aIles aus der geometrie heraus und der organik zu, aber wenig ist noch, was organhaft gestaltet ist. Einige gebrauchsgeräte und instrumente, da und dort ein technischer bau, ein fahrzeug, ein flugzeug und sonstige dinge, an denen allein der anspruch an eine leistung die gestalt forderte.
Der prozeß schreitet über die dynamik zur organik.
Wir haben auch der technik neue aufgaben zu stellen. Denn die technik hält uns am stärksten im banne der geometrischen formgewalten. Die geometrischen formen sind die formen der massenfabrikation. Der ziegelstein ist das urbild aller massenform, das rechteck ist die fügsamste form in aller aufbauarbeit an der materie, es ist ihre eigenform. Der kubus ist das alte zeichen der erde. Da aber alle organhafte und individuierende gestaltforderung der herrschaft der geometrie entgegentritt, entsteht ein kampf mit dieser formenwelt, aus dem uns nicht die verneinung der geometrischen formenwelten herausführt, sondern ihre einordnung unter das höhere prinzip der gestalt als bausteine des körpers der gestalt und nun als solche auch organisch begriffen.
Beachten wir aber noch mit genauer aufmerksamkeit, daß auch im reich der technik und der konstrutionen der gestaltwille der organik eine immer größer werdende rolle spielt. Der begriff der leistungsform hat in der technik unumschränkte gültigkeit und den begriff der stilform heute vollkommen verdrängt. Das vollkommenste beispiel, das den siegreichen vorstoß der organhaften konstruktion beweist, ist das flugzeug. Aber auch auf dem besonderen und eigenen gebiet unseres bauens drängen die konstruktionen immer stärker in das reich des organischen vor. Der stahlbeton war eine erste große etappe, die eisenkonstruktionen gingen denselben weg. Das element des elastischen und der bewegung überwindet die idee der statik. Die konstruktionswege der organhaften natur fordern zu neuen konstruktionen im bauen auf. Der prozeß führt auch zu einer tieferen prüfung der qualitäten der baustoffe und zur entwicklung neuer baustoffe auf grund genauer leistungsansprüche. Das gießverfahren eröffnet neue möglichkeiten. Auch in konstruktion und technik ist ein neuer gestaltwilie wirksam. Unterscheiden wir aber auch hier, daß verschiedener gestaltwille sich der technik verschieden bedient. Während die an das werkgesetz der geometrie gebundenen die technik benützen, um die formenwelten der geometrie zu realisieren, gehen andere den weg der organik, indem sie aus der organidee der konstruktion die gestalt des baus entwickeln. Sie verfahren gotisch. So kommen bauten zustande, wie etwa die flugzeughalle in orly von freyssinet. Dies ist überaus wichtig, denn solches geschieht auf unserem weg.
Eine linie des neuen bauens läuft in die rationale welt der technisch erzeugten dinge. Sie müht sich um die augenhafte klarheit einer technischen ordnungswelt und hat viel aufmerksamkeit für die reizwerte neuer baustoffe und neuer herstellungsverfahren, doch bleibt sie auf dem gestaltboden der geometrie. Sie leistet der organik indirekte dienste. Außerdem aber gibt es auch noch eine echte werkbundlinie, die zwar sehr dünn ist, aber überaus wertvoll. Sie leistet wichtige arbeit nach dem gesetz der organik.
Schließlich noch ein wort über unser verhältnis zur landschaft. Da alles, was in der landschaft ist und lebt, und auch die landschaft selbst ein geschaffenes ist, in dem das leben die gestalt wirkt und nicht die geometrie, so kann die besorgte frage der liebhaber der landschaft, ob nicht die werke des neuen bauens die landschaft störten, damit beantwortet werden, daß, wenn die werke des neuen bauens gebaut sind nach dem gesetz, nach dem die landschaft selbst gebaut ist, kein widerspruch entstehen kann. Sie werden ihr sogar enger verbunden sein als irgendein bau vergangener architekturepochen geometrischer abstammung. Dies heißt also, die "architektur" und ihre kubische gestaltwelt überwinden und zu bauen im geist der organik. Und der verlangt, daß man sich der gestaltidee einer landschaft einordne, daß man ihre gestaltqualitäten beachte und sich im übrigen auch taktvoll in ihr betrage. Auch die landschaft hat ihr wesen. (Damit geben wir nicht etwa den trachtenmännchen recht, denn trachten sind zwangsformen und keine organformen, nur manchmal sind solche hinter ihnen versteckt.)
Unsere aufgabe ist sehr groß, das pensum ungeheuer.

IV.
Unser politischer raum.
Baukunst und städtebau zeigen das wahre gesicht der politischen gesellschaft.
In den werkräumen der geometrie ist die masse: "masse schlechthin", spengler sagte: "punktische masse". Sie ist dies auch politisch. In den räumen der organik wird die masse als körper gesehen und als ein lebendiges begriffen, als ein zum wirken geistiger kräfte geschaffenes organ. Sie ist politisch "volk". Die masse ist feind den individuierenden geistigen kräften. Der mittelmeerraum schuf die herrschaftsfigur der masse, den autonomen menschen. Bis zu den staufern hatte die idee einer von GOTT gesetzten geistigen ordnung in den werkräumen des nordens die macht einer wirklichkeit, das volk galt in ihr als eine gemeinschaft geistigen rangs. Im zeichen der organstruktur kämpft es heute um seine politische form.
Die geistige qualität einer politischen struktur ist bestimmt durch die idee, die der masse gegeben wird, deren wirklicher maßstab darin liegt, wie weit die masse in ihren individuellen zügen angesprochen wird, wie weit sie volk ist. Das verhältnis masse-individuum ist das kriterium jeder politischen ordnungsform. Hierbei gewinnt bedeutung, daß die geometrie ein zeichen der masse ist, organik ein zeichen der individuierenden kräfte. Als hitler das neue bauen verbot und eine geometrische architektur mit säulen forderte, war klar, daß er nicht das volk meinte, wenn er von seinem volk sprach, sondern die masse. Der masse kann man nur mit säulen imponieren, und er selbst war repräsentant der masse - das volk sammelt sich in gotischen räumen.
Die masse verbindet ein gewaltiger familiensinn mit dem kapital. Beide kommen aus demselben schoß. Es mag den anschein haben, als sei die masse kapitelfeindlich: in wirklichkeit ist sie nur kapitalistenfeindlich, weil die kapitalisten sie des kapitals berauben, das die masse für sich allein und ausschließlich für ihren eigenen lebensraum beansprucht. Auch das kapital ist ein feind der geistigen, individuierenden kräfte. Es kämpft gegen sie seite an seite mit der masse. Aus instinkt. Denn die geistigen kräfte betreiben aufhebung der masse und aufhebung des machtanspruchs des kapitals. Sie wollen das volk. Das gelegentliche mäzenatische auftreten der kapitalisten -und aller mächte der masse und des kapitals - ist eine besondere art des kampfes gegen die individuierenden geistigen kräfte, indem sie versuchen, diese in den machtraum der masse und des kapitals hereinzuholen. Der geistige arbeiter ist weder kapitalfeindlich noch feind der masse: er sieht seine aufgabe darin, masse und kapital in den dienst des geistes zu stellen.
Große organisationen unserer zeit sind organisationen der masse; sie sind kapitalsinnig und feind der individuierung. Masse und kapital haben imperialistische ziele. Was der marxismus ein soziales ziel nennt, ist in wirklichkeit ein imperialistisches ziel. Denn nichts ist wahrhaft sozial, was die geistigen kräfte unterdrückt und die persönlichkeit verneint. Die masse ist nicht gegen den imperialismus, sondern auch nur gegen den imperialisten, der ihr die macht streitig macht. Solange der cäsar der masse die vorstellung nicht raubt, daß er ein volkstribun ist, freut sich die masse über die macht, die er in ihrem namen und in ihrem auftrag ausübt. Verliert sie diese vorstellung, so bringt sie ihn um. Hinter der flagge des sozialismus treten imperialistische ansprüche der masse hervor.
Das individuum allein kann eine soziale wirklichkeit herbeiführen. Denn dies eben macht das individuum aus, daß es als träger geistiger kräfte an der individuierung der masse zu arbeiten verpflichtet ist, d. h. sie aus dem zustand der masse in den zustand des individuums zu überführen, aus der masse ein volk von geistigen individuen zu machen.