Der
Stadtbaurat.
Ein neues und aktuelles Problem
Zu dem Problem der Stadtbauratswahl, die heute für viele Großstädte
Deutschlands aktuell ist, geht uns aus Architektenkreisen dieser Aufsatz
zu.
Darüber ist man sich heute vollkommen einig: für die Stadtbauratsposten
der Großstädte sind heute "geeignete Persönlichkeiten" nicht leicht mehr
zu finden. Die Besetzung dieses Postens macht verantwortlichen Stellen
recht große Sorgen.
Zwar gibt es eine Reihe tüchtiger und angesehener Baumeister, die schon
große und schöne Bauten errichtet und reiche Erfahrungen gesammelt
haben, aber man ist besorgt, ein solcher Baumeister, und wäre es der
bedeutendste, möchte dem Amte doch nicht entsprechen. Besorgt, selbst
wenn man nicht für ihn fürchtet, daß er in 20 Jahren, ja vielleicht
schon in 10, veralten möchte. Der Anmarsch einer neuen Baugesinnung
scheint nicht ausgeschlossen zu sein. Man hält ihn sogar für erwünscht.
Also selbst wenn, was leistete der große Baukünstler für die Stadt
anderes, als daß er sie mit schönen Bauten zum Ruhme des eigenen Geistes
ausstattete? Es ist nur ein kleiner Teil der Aufgabe dieses Amtes, daß
die Stadt schöne Bauten erhalte, und gerade diese Aufgabe ist zudem
besser zu erfüllen, wenn die für die großen Bauten Fähigsten jeweils für
diese Arbeit berufen werden. Das hat noch den Vorteil, daß die Lösung
reicher wird und die Kräfte nicht veralten.
Doch die größere Aufgabe sieht man im Städtebau. Der Stadtbaurat muß
auch was vom Städtebau verstehen. Dadurch wird der Kreis der Kandidaten
schon enger. Es gibt wenige Baukünstler, die zugleich an Ansehen als
Städtebauer genießen. Der Grund? Ihn zu nennen heißt: die ganzen
umstrittenen Probleme des Städtebaus heraufbeschwören. Ist der Städtebau
eine künstlerische Aufgabe oder erfordert er einen anderen Geist?
Beides: er erfordert indessen zuerst die Leistung eines anderen Geistes,
der dem Künstler die Aufgabe stellt. Der Baukünstler, der Städte baut,
baut Straßenbilder, Plätze, legt Grünparks an, schafft Ruhepunkte für
das Auge, Betonungen, Straßen und Platzräume, Straßen und Platzwände,
und wenn man nicht genau hinsieht, glaubt man in einer wirklichen Stadt
zu sein. Aber wenn man genauer hinsieht, bemerkt man, daß man in einem
Museum ist, in einer museal schönen architektonischen Stadt, durch die
man das Leben der Stadt geleitet hat. Der Baukünstler weiß noch nichts
vom Leben dieser Stadt; von ihrem Willen und ihrer Zukunft. Er weiß
nicht, welchem weiteren Sinne diese Straßen und Platzbilder dienen
sollen, weiß also auch nicht, ob es überhaupt richtig ist, wenn er
Straßen- und Platzwände baut. Aber weiß das der Städtebauer, der
Städtebauer, der zugleich Baukünstler ist und der Städtebauer, der
zugleich nicht Baukünstler ist? Der Städtebau ist noch ein mächtiger
Berg von Problemen, selbst wenn man mit dem Baukünstlerischen im reinen
ist. Doch nur soviel sei hier darüber gesagt: er ist nicht die Summe
aller dieser Probleme, so wenig, wie der Mensch nur die Summe seiner
einzelnen Körperteile ist. Der Städtebau, der nur die Stadt zu bauen
sich anstrengt, die einigen Millionen Einwohnern den vorteilhaftesten
und reibungslosesten Lebensablauf schafft, schafft zwar schon viel, aber
er baut noch keine Stadt.
Eine Stadt ist ein Wesen, das sich vom Lande nicht dadurch nur
unterscheidet, daß in ihr mehr Menschen auf einem engen Raume
zusammenkommen als auf dem Lande, sondern dadurch, daß diese Menschen
aus einer bestimmten Lebensgier, einem Verlangen nach Lebenssättigung,
sich zu dieser Intensität und Gedrängtheit des Lebens hingezogen fühlen
oder vielleicht in sie hineingeboren sind, welche nur Städte bieten. Das
individuelle Stadtwesen ist wirksam in dem Maße seiner Intensivierung,
seiner Energieentfaltung. Dieses Wesen, bestimmte Wege zu weisen, ist
die Leistung eines städtebauenden Willens. Haben nicht früher Fürsten,
weltliche und geistliche, die Städte gebaut? Die Städte hatten ihre
Gestalt durch den Willen dieser Fürsten; die Baukünstler waren nur die
Diener dieses Willens. Wer will heute die Gestalt der Städte? Die
Fürsten verschwanden, nicht weil sie Fürsten waren, sondern weil sie
keine mehr waren; aber wir können keine Städte bauen ohne den Willen
eines fürstlichen Geistes. Es ist der wichtigste Anspruch, der an den
Stadtbaurat gemacht werden muß, daß er diesen bauherrlichen Willen habe,
daß er den klaren und bestimmten Willen habe, das Wesen einer Stadt zu
entfalten und es einem geistigen Zwecke zuzuwenden. Also wird er zuerst
und vor allem ein eminent geistiger Mensch sein müssen und kein
Techniker. Beileibe kein technischer Geist. Wir kennen zur Genüge diese
unseligen Sammelgeister des nur technischen Wissens, denen alle tieferen
Dinge fremd sind und die alles Schöpferische ewig verhindern.
Der Bau einer Stadt ist die Tat eines Willens, nicht die Summe der
Leistungen einzelner Fachleute. Es wäre falsch, das Amt in seine
Fachgebiete zu zerlegen, es in den Baukünstler, den Städtebauer, den
Verwaltungsmann usw. zu spalten. Das wäre das Ende des bauherrlichen
Willens. Es wäre grundfalsch.
Also ist auch nicht die Frage: ob Baukünstler, ob Städtebauer, ob
Verwaltungsmann, ob ?, sondern nur, wes Geistes Kind ist der Mann, der
der Statthalter des Oberbürgermeisters sein soll? Er braucht kein
Baukünstler zu sein, aber er muß um das Wesen der Kunst und um ihre
inneren Gesetze wissen, wissen nicht etwa, daß die Kunst auch zum
Kulturbesitz eines Volkes gehört, sondern daß sie der erhabenste Teil
ist der Erformung des Lebens und zugleich der anfänglichste der
Menscherhebung; er braucht kein Städtebauer zu sein, der in Statistiken
über Wohnungsdichten und Grünparks lebt, aber er muß dafür sorgen
können, daß den Menschen Plätze angewiesen werden, wo sie wohnen und wo
sie arbeiten können, ohne ihre Würde aufzugeben, und er braucht kein
Verwaltungsmann zu sein, aber er muß die Beamten zu erfassen wissen,
welche seine großen Gedanken auf dem Wege der Verwaltung zum Absterben
bringen.
[um 1925], Zeitungsausschnitt, HHA-01-944 |