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Ein Kuhstall macht Karriere
Im Zentrum einer großangelegten Gesamtschau zum Werk Hugo Härings (1882
- 1958) in der Berliner Akademie der Künste steht ein holsteinischer
Kuhstall. Er ist Teil einer ab 1922 wesentlich größer geplanten, dann
aber nur in Teilen realisierten Anlage des Gutes Garkau am Pönitzer See.
Mit dem organhaften, funktionalen Bau von 1925 auf birnenförmigen
Grundriss sowie der benachbarte Scheune mit ihrer neuartigen,
freitragenden Dachkonstruktion trug Häring das Neue Bauen der 20er Jahre
auf das Land und wurde damit international berühmt. Heute gilt Garkau -
das Kuhhaus steht seit vielen Jahre leer - nicht nur als frühes Hauptwerk
des Architekten, sondern es ist zugleich das überregional bekannteste
Beispiel für die moderne Architektur in Schleswig-Holstein. El Lissitzky
hat es 1926 fotografiert und daraus die spiegelsymmetrische Fotomontage
der Innenansicht entwickelt.
Der Kurator Matthias Schirren hat die Garkauer Kuhboxen maßstabsgetreu
nachstellen lassen und darin Pläne zu diesem Bau und vergleichbaren
Beispielen für die organhafte Architektur Härings ausgestellt. Im
Fluchtpunkt der Installation steht wie in der Realität die originale
Gitterbox für den Bullen. Häring hat damals ganz in der Nähe weitere
Projekte bearbeitet. Nicht realisiert wurde eine 1924 geplante große
Viehauktionshalle in Lübeck mit einer freitragenden Betonkuppel, deren
Ausformung an die um 1920 aktuellen "Volkshäuser" erinnert. In
Neustadt entstand 1925 eine Räucherwarenfabrik, deren Architektur mit
Pultdächern, Lichtbändern, Ziegelstein und Holzverschalung heute wie ein
Musterkatalog für die skandinavisch inspirierte "zweite
Moderne" nach dem Kriege erscheint, für die einige Architekten in
Norddeutschland besonders empfänglich waren. 1973 wurde die Anlage
abgerissen.
Häring hat als einer der führenden Architekten seiner Zeit ein zwar
vergleichsweise schmales, aber vielfältiges Werk hinterlassen. Es reichte
vom Möbelentwurf über Filmbauten bis zum Wiederaufbau im
kriegszerstörten Ostpreußen - einzelne Aufträge führten ihn bis nach
Rio de Janeiro. Er unterhielt einige Jahre ein Büro in Hamburg, dann in
Berlin und schließlich in seinem Geburtsort Biberach. Er war
Mitbegründer und Sekretär der fortschrittlichen Architektenvereinigung
"Der Ring", zu der auch Mies van der Rohe, Poelzig und die
Brüder Taut gehören, er war Vorstandsmitglied des Deutschen Werkbundes,
und er profilierte sich zunehmend auch als Theoretiker des Neuen Bauens.
Häring gehörte zur Avantgarde seiner Zunft und sah sich als Vertreter
eines Funktionalismus von spezifisch deutscher Ausprägung - im Kontrast
zur provozierenden Internationalität dieses Stils. Während des
Nationalsozialismus blieb er, anders als viele seiner prominenten
Kollegen, im Lande und fand in der Leitung der Berliner Reimann-Schule
zusammen mit ehemaligen Bauhaus-Lehrern eine Nische im System. Nach dem
Kriege widmete er sich seinen Publikationen über architektonische und
städtebauliche Fragestellungen. Der trotz aller Erkenntnisse noch
"unentdeckte Mythos" Häring (Vladímír Slapeta) kann nun in
Berlin entschlüsselt werden.
Ulrich Höhns
Kieler Nachrichten vom
21.06.01
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