PRESSESPIEGEL













Kuhstall, futuristisch

Die Berliner Akademie ehrt den Architekten Hugo Häring
Hugo Häring, der Namensgeber des bedeutendsten baden-württembergischen Architekturpreises, war kein Freund von "Architektur''. Lebenslang hat er dagegen polemisiert: "Ich bin gegen die Architektur, aber fürs Bauen'', schrieb Häring in einem programmatischen Text aus den zwanziger Jahren, und Anfang der fünfziger Jahre, kurz vor seinem Tod, sagte er seinem erfolgreichen Kollegen Egon Eiermann ins Gesicht: "Das Zeitalter der Architektur ist abgelaufen.''
Leider hat Häring damit nicht Recht behalten. Das, was er abfällig "Architektur'' nannte, drückte dem Deutschland der Nachkriegszeit den Stempel auf. Der Siegeszug der geometrischen Großformen und einer technizistischen Ästhetik ließ sich nicht aufhalten. Häring erkannte darin die heimliche Wiederkehr einer Architekturauffassung, gegen die er bereits in der Kaiserzeit Position bezogen hatte: gegen ein Bauen fürs Auge, bei dem die anderen Sinne verkümmerten, und gegen die Tendenz zu einer modischen Uniformierung der Fassaden.
Dabei zählte Häring selbst seit den zwanziger Jahren als Propagandist und Protagonist des "neuen Bauens'' in Deutschland zu den Wegbereitern der Moderne. Schon damals freilich warnte er in seinem berühmten Aufsatz "Zwei Städte'' vor einem falsch verstandenen Funktionalismus. Kritisch setzte er sich mit den Visionen von Hilberseimer und Le Corbusier auseinander, die ideale Hochhausstädte mit Magistralen für den Autoverkehr skizzierten. In solchen Raumgebilden, befürchtete Häring, werde bloß die "Uniformierung, Typisierung, Normierung'' der Individuen vorangetrieben. Gerade diesen Tendenzen jedoch müssten die Baumeister und Stadtplaner entgegenarbeiten, denn: "Wahrhaft sozial kann nur sein, was das Individuelle fördert.'' Das Bauen müsse dem Einzelnen vor allem Raum für die Entwicklung seiner Individualität zur Verfügung stellen.
Folglich hatten die Raumbedürfnisse der Bewohner eines Gebäudes für Häring im Entwurfsprozess an oberster Stelle zu stehen. Daraus sollte sich seine Gestalt frei entwickeln dürfen, ohne Zwang zur Geometrie und Einheitlichkeit der Glieder. "Kartoffelhäuser'' hat Häring daher manche seiner Entwürfe selbstironisch genannt, und so sehen sie auch aus. Expressionistisch mutet der spitzwinklige Grundriss seines letzten gebauten Entwurfs für zwei Einfamilienhäuser in Biberach (1950) an. Auch diese Form leitete er aus den Eigentümlichkeiten der Hanglage und den Bedürfnissen der Bauherren ab. Einwände von Kollegen wehrte er mit der Bemerkung ab: "Diese Häuser lassen sich nicht fotografieren. Sie sind ja auch nicht dafür gebaut.''
In den Zwanzigern plante er Wohnblocks für Berliner Großsiedlungen wie Siemensstadt und Onkel Toms Hütte, als Hauptwerk aus dieser Zeit gilt indes ein Kuhstall auf dem holsteinischen Gut Garkau. Nach intensiven Gesprächen mit dem aufgeschlossenen Gutsbesitzer über die Betriebsabläufe entwarf Häring eine Halle auf birnenförmigem Grundriss. Die zwecks verbesserter Ventilation leicht geneigte Decke lastet auf weit auskragenden Betonträgern, ein hoch liegendes Fensterband sorgt für gleichmäßige Beleuchtung. Im Innern wirkt der Kuhstall dadurch fast futuristisch. Außen jedoch passte Häring das ungewöhnliche Gebäude durch ein Mauerband aus unverputztem Backstein und eine Holzverschalung um das Obergeschoss in die holsteinische Landschaft ein: Auffallen um jeden Preis war seine Sache nicht.
In Berlin widmet sich nun eine großzügige, in den lichten Sälen der Akademie der Künste wunderbar zur Geltung kommende Ausstellung dem Werdegang des Architekten. 1882 in Biberach als Sohn eines Möbeltischlers geboren, studierte Häring um 1900 in Stuttgart und Dresden, ehe er sich in Hamburg als Architekt und Möbeldesigner selbstständig machte. Anhand von Manuskripten, Zeitungsaufsätzen und Entwürfen zeichnet die Ausstellung sehr genau nach, wie sich Häring früh von einem statischen Raum- und Archiktekturbegriff verabschiedet und die Idee einer "organischen Baukunst'' entwickelt. Ein Schlüsselerlebnis war dabei die Begegnung mit den unklassischen Skulpturen Rodins. So wie der Bildhauer die Form seiner Menschenfiguren aus dem Spiel der Muskeln und Knochen gewann, wollte Häring seine Gebäudeskulpturen aus ihrem Innenleben entwickeln.
1921 übersiedelte Häring nach Berlin. Er erregte Aufmerksamkeit mit seinen fließenden Umrissen für ein nie gebautes Hochhaus am Bahnhof Friedrichstraße, halb Pflanze, halb Schiffsbug, und arbeitete im Atelier von Mies van der Rohe. Mit den führenden Vertretern des neuen Bauens gründete er die Architektenvereinigung Der Ring. Seit 1926 firmierte er als ihr Sekretär. In dieser Funktion vertrat er die Interessen der meisten Architekten, die auf dem Stuttgarter Weißenhof bauen sollten. Die ersten Skizzen für die Werkbundsiedlung tragen die gemeinsame Handschrift von Mies und Häring, doch schon bald zog dieser sich aus dem Projekt zurück. Es gab Kompetenzstreitigkeiten zwischen dem Ring und dem Deutschen Werkbund, dem offiziellen Veranstalter der Bauausstellung auf dem Weißenhof. Nach Härings Meinung hatte sich der Werkbund von der knausrigen Stadt Stuttgart über den Tisch ziehen lassen und für die Ring-Architekten viel zu niedrige Honorare ausgehandelt.
In der großen Ausstellungshalle, die den zwanziger Jahren gewidmet ist, weitet sich die monografische Ausstellung zum Panorama der damaligen Architekturdiskussion. Denn Häring lieferte wohl durchdachte Beiträge zu allen möglichen Aspekten des neuen Bauens, skizzierte Hochhauslandschaften, Wohnblocks, Kleinfamilienhäuser, Fabriken und städtebauliche Entwürfe für die Umgestaltung Berlins zur republikanischen Hauptstadt. Das meiste blieb unausgeführt, wie ein Ausstellungsgebäude für die Berliner Secession am Savignyplatz und ein neues Regierungsviertel im Spreebogen. Auch als Filmarchitekt hat Häring gearbeitet: 1924 stattete er den Ufa-Stummfilm "Michael'' von Carl Theodor Dreyer aus.
In der Nazizeit gab es für Häring keine Bauaufträge. Er blieb in Berlin und führte die private Kunstschule des vertriebenen Bildhauers Albert Reimann weiter, unterstützt von arbeitslos gewordenen Bauhauslehrern. Unter den Bedingungen der inneren Emigration lebten Härings romantische und utopische Ideen in versponnenen Projekten fort. So plante er 1941 mit Hans Scharoun und Chen Kuen Lee die Gründung eines chinesischen Werkbundes, der die Kultur Chinas vor der westlichen Zivilisation bewahren sollte. Die Ausstellung zeigt filigrane Skizzen für eine "reine Stadt der Erziehung'' in China. Nach Kriegsende wandte sich Häring dann wieder ganz handfesten Fragen des Wiederaufbaus zu. So sind in der Berliner Akademie nüchterne Möbel für Kleistwohnungen zu sehen, die bei der Stuttgarter Ausstellung "Wie wohnen'' (1952) ausgezeichnet wurden.
Zum architektonischen Wiederaufbau der Bundesrepublik hat Häring nicht mehr viel beitragen können. Er starb 1958 in Göppingen. Die von Matthias Schirren kuratierte Berliner Ausstellung, zu der ein umfangreicher Werkkatalog erscheint, bringt ihn uns als erfrischenden Zeitgenossen wieder nahe. Nein zur "Architektur'', ja zur Baukunst - Härings Credo bleibt für Architekten, die sich nicht nur dem Markt und der Mode beugen wollen, eine Ermutigung.
Bis 5. August in der Akademie der Künste am Hanseatenweg 10, täglich bis 20 Uhr geöffnet. Werkkatalog bei Hatje Cantz, 65 Mark. Über die Übernahme der Ausstellung finden zurzeit Gespräche mit der Galerie der Stadt Stuttgart statt. Von 5. bis 7. Juli gibt es in der Akademie der Künste ein Begleitkolloquium. Informationen im Internet: www.adk.de

Von Michael Bienert


Stuttgarter Zeitung vom 3.7.2001




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